Arbeitsrecht

19. Newsletter - Juni 2024

In unserem neuen Newsletter informieren wir Sie über zwei Entscheidungen des BAG zur Anpassung der Vergütung bei Aufstockung der Arbeitszeit von Teil- auf Vollzeit und digitalen Bereitstellung von Bewerbungsunterlagen bei Einstellungen. Außerdem servieren wir Ihnen eine Entscheidung des LAG Saarland zur Vergütung von Überstunden in von einem Zeiterfassungssystem automatisch abgezogenen Pausen. Zusammenfassung der Leitsätze:

Sowohl bei einer Verkürzung als auch bei einer Verlängerung der Arbeitszeit überlässt das Gesetz die Anpassung der Vergütung den Arbeitsvertragsparteien. Können sich die Arbeitsvertragsparteien bei der Aufstockung der Arbeitszeit auf Vollzeit nicht über die Vergütung einigen, wird der Arbeitsvertrag insoweit lückenhaft. Die Vergütung ist durch ergänzende Vertragsauslegung zumindest quotal entsprechend der Arbeitszeiterhöhung anzupassen (BAG, Urteil v. 13.12.2023, Az. 5 AZR 168/23).

Mehr erfahren

Führt der Arbeitgeber den Bewerbungsprozess um eine ausgeschriebene Stelle mithilfe eines Softwareprogramms digital durch, genügt er seiner Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat, wenn er dessen Mitgliedern für die Dauer des Zustimmungsverfahrens ein auf die im Programm hinterlegten Bewerbungsunterlagen bezogenes Einsichtsrecht gewährt (BAG, Beschluss v. 13.12.2023, Az. 1 ABR 28/22).

Mehr erfahren

Arbeiten während festgelegter Pausenzeiten können Über- und Mehrarbeitsstunden sein. Für die Überstunden und deren Anordnung trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Pausenzeiten können durch ein Arbeitszeiterfassungssystem automatisch abgezogen werden (LAG Saarland, Urteil v. 29.11.2023, Az. 2 Sa 82/21).

Mehr erfahren


1. Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Höhe einer Zulage nach Aufstockung der Arbeitszeit der klagenden Arbeitnehmerin von Teil- auf Vollzeit. Die Arbeitnehmerin war zunächst in Teilzeit (50 %) beschäftigt und bezog neben einer tariflichen Vergütung eine monatliche Zulage i. H. v. € 250,00 brutto. Die Zulage sollte die Differenz zwischen der bei ihrem vorherigen Arbeitgeber erzielten Monatsvergütung und der Tarifvergütung bei der aktuellen beklagten Arbeitgeberin ausgleichen. Infolge einer Arbeitszeiterhöhung von Teil- auf Vollzeit passte die Arbeitgeberin zwar die Tarifvergütung, nicht aber die Zulage an.

Die Arbeitnehmerin machte die Erhöhung der monatlichen Zulage von € 250,00 brutto auf € 500,00 brutto gerichtlich geltend. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das LAG gab der Berufung der Arbeitnehmerin statt. Mit zugelassener Revision begehrte die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

2. Entscheidungsgründe

Das BAG gab der Arbeitnehmerin Recht. Das Schicksal der Vergütung sei weder bei einer Verringerung (§ 8 TzBfG) noch bei einer Verlängerung (§ 9 TzBfG) der Arbeitszeit gesetzlich geregelt. Das überlasse das Gesetz den Arbeitsvertragsparteien. Die Zulage sei Teil der geschuldeten Vergütung (§ 611a Abs. 2 BGB). Die Parteien seien überein gewesen, die Vergütungsdifferenz aus der Vergütung bei dem vorherigen Arbeitgeber und der Tarifvergütung auszugleichen. Die Zulage sei deshalb ein im synallagmatischen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehender Vergütungsbestandteil. Das Synallagma sei mit der Aufstockung der Arbeitszeit außer Balance geraten. Die Neujustierung habe zunächst den Arbeitsvertragsparteien oblegen. Da sich die Arbeitsvertragsparteien nicht auf die Anpassung der Vergütung infolge der Arbeitszeitaufstockung haben einigen können, sei der Arbeitsvertrag insoweit lückenhaft. Die Lücke könne nicht durch dispositives Recht geschlossen werden, weil das Schicksal der Vergütung nicht gesetzlich geregelt sei. Notwendig sei daher eine Anpassung der Vergütung durch ergänzende Vertragsauslegung. Dafür sei maßgeblich, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen als redliche Vertragsparteien bei Vertragsschluss vereinbart hätten. Nach im Arbeitsleben herrschender Anschauung und durchweg geübter Praxis sei die Höhe der Vergütung auch am zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung zu bemessen. Deshalb hätten redliche Vertragspartner bei der Aufstockung der Arbeitszeit zumindest eine quotal dem Umfang der Arbeitszeiterhöhung entsprechende Erhöhung der Vergütung vereinbart.

3. Praxishinweis

Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer angemessenen Anpassung der Vergütung bei der Umstellung von Teil- auf Vollzeit. Für Arbeitgeber ist wichtig darauf zu achten, dass bei der Anpassung des Arbeitsvertrages alle Vergütungsbestandteile zu berücksichtigen sind. Nicht nur das Grundgehalt, sondern auch Leistungszulagen sind anzupassen.


1. Sachverhalt

Die Beteiligten stritten über die Zustimmungsersetzung zu einer Einstellung. Die Arbeitgeberin schloss mit dem Konzernbetriebsrat eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung eines digitalen Bewerbermanagement-Tools. Innerhalb des Tools waren Stellenausschreibungen und Bewerbungsverfahren abgebildet. Die Arbeitgeberin pflegte dort digital sämtliche Bewerbungsunterlagen ein. In Papierform eingegangene Bewerbungsunterlagen digitalisierte sie und lud sie in das Tool. Der örtliche Betriebsrat konnte uneingeschränkt auf alle digitalisierten Bewerbungsunterlagen und eingepflegten Daten zugreifen. Die Arbeitgeberin beantragte beim örtlichen Betriebsrat die Zustimmung zu einer Einstellung, die der Betriebsrat verweigerte. Die Verweigerung begründete der Betriebsrat damit, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht ausreichend unterrichtet habe. Die Bewerbungsunterlagen seien in Papierform vorzulegen.

Die Arbeitgeberin wandte sich mit einer Zustimmungsersetzung zur Einstellung an das Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht ersetzte die Zustimmung. Das LAG wies die Beschwerde des Betriebsrats zurück.

2. Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats blieb erfolglos. Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet (§ 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Sie habe ihre Pflicht, dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen vorzulegen, durch die umfassend eingerichtete Einsichtsmöglichkeit in die digitalisierten Unterlagen erfüllt. Der Betriebsrat habe jederzeit die im Programm hinterlegten Anschreiben und Lebensläufe sowie Zeugnisse und Zertifikate einsehen können. Die Arbeitgeberin habe die Bewerbungsunterlagen dem Betriebsrat nicht in Papierform vorlegen müssen. Das ergäbe die Auslegung des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG:

  • Bereits der durch den Wortlaut der Norm vermittelte Wortsinn lasse erkennen, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat digital eingegangene Bewerbungsunterlagen auch nur digital zur Verfügung stellen müsse.
  • Nach dem Sinn und Zweck der Regelung solle die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht dem Betriebsrat diejenigen Informationen verschaffen, die er benötige, um sein Recht zur Stellungnahme ausüben zu können. Der Arbeitgeber habe den Betriebsrat daher so zu unterrichten, dass er aufgrund der mitgeteilten Tatsachen in die Lage versetzt werde, zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliege. Zudem solle der Betriebsrat die Möglichkeit haben, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen Stellenbewerbers sprechen. Das erfordere, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Unterlagen aller Bewerber so überlasse, dass sie ihm für die Dauer der gesetzlichen Entscheidungsfrist über das Zustimmungsersuchen zur Verfügung stehen. Dabei genüge, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die Dauer des Zustimmungsverfahrens ein auf die digital vorhandenen Bewerbungsunterlagen aller Interessenten bezogenes Einsichts- und Leserecht gewähre. Damit habe der Betriebsrat die Möglichkeit, sich diejenigen Informationen zu verschaffen, die er benötige, um eine Stellungnahme abgeben zu können. Der jederzeit mögliche Zugriff auf die hinterlegten Bewerberdaten erlaube ihm, eigene Vorschläge für die Auswahl zu unterbreiten oder auf Umstände hinzuweisen, die nach seiner Auffassung für einen anderen Bewerber sprechen.
  • Gesetzessystematische Erwägungen stünden nicht entgegen. Zwar räume die Regelung dem Betriebsrat grundsätzlich ein Recht auf Benutzung der Bewerbungsunterlagen und nicht nur auf Einblick ein. Jedoch gehe das Einsichts- und Leserecht über die bloße Befugnis zur jederzeitigen Einsichtnahme in die Unterlagen hinaus. Die Betriebsratsmitglieder hätten die Möglichkeit, sich Notizen oder Screenshots anzufertigen.
  • Auch die Gesetzeshistorie gebiete keine andere Auslegung. Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Vorschrift nicht durch das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahl und der Betriebsratsarbeit in der digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz vom 14.06.2021) sprachlich angepasst habe, lasse nicht erkennen, dass die Bewerbungsunterlagen stets in Papierform vorzulegen seien. Der Gesetzgeber habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Vorschrift trotz der ihm bekannten Veränderungen in der Arbeitswelt für ausreichend halte.
  • Auch datenschutzrechtliche Erwägungen ergäben nichts anderes. Das digitale Einsichtsrecht des Betriebsrats beschränke sich auf diejenigen Unterlagen, die der Arbeitgeber dem Betriebsrat zu überlassen habe, wenn sie für sich vorlägen. Die Datenverarbeitung sei erforderlich, weil sie der Pflichterfüllung des Arbeitgebers diene. Außerdem sei der Betriebsrat zur Geheimhaltung verpflichtet.

3. Praxishinweis

Die Entscheidung nähert sich der Lebenswirklichkeit. Sie ist nur auf den ersten Blick trivial. Bei flüchtiger Betrachtung des Wortlauts des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG liegt zunächst nahe, unter Vorlage die körperliche Übergabe der Bewerbungsunterlagen zu verstehen. Das führte allerdings auch dazu, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen für den Betriebsrat ausdrucken und ihm in Papierform vorlegen müsste. Bei einer Vielzahl an Bewerbern wären die praktischen Auswirkungen erheblich. Mit Blick auf die Digitalisierung der Arbeitswelt und die damit verbundene Verwendung von Bewerbungsmanagement-Tools ist richtig, unter Vorlage auch die Möglichkeit einer umfassenden Einsicht in digitalisierte Bewerbungsunterlagen zu verstehen.


1. Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Vergütung von Überstunden von im Zeiterfassungssystem automatisch abgezogenen Pausen. Die klagende Arbeitnehmerin war Ärztin mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden, die auf 5 Tage zu je 6 Stunden verteilt waren. Eine Betriebsvereinbarung sah feste Pausen von 30 Minuten vor, die das Zeiterfassungssystem automatisch abzog, wenn die erfasste Anwesenheitszeit mehr als 6 Stunden betrug. Zudem sah die Betriebsvereinbarung eine Korrektur und Gutschrift nicht genommener Pausen vor, wenn die Pause aus betrieblichen Gründen und von den Beschäftigten begründet nicht genommen werden konnte. Ein anzuwendender Tarifvertrag sah zur Arbeitszeitdokumentation vor, dass die gesamte Anwesenheit abzgl. der tatsächlich gewährten Pausen als Arbeitszeit galt.

Die Arbeitnehmerin machte die Überstundenvergütung gerichtlich geltend. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

2. Entscheidungsgründe

Das LAG wies die Berufung zurück. Die Arbeitnehmerin habe die behaupteten Überstunden nicht hinreichend dargelegt. Sie sei darlegungs- und beweisbelastet für die Erbringung von Überstunden während der vom Zeiterfassungssystem abgezogenen Pausen. Die Arbeitgeberin habe die Ruhepause tatsächlich gewährt, da ihre zeitliche Lage und Dauer vor Beginn durch Betriebsvereinbarung festgestanden haben. Es sei Sache der Beschäftigten, die Leistung auch anzunehmen. Die Anordnung der Pause folge aus dem automatischen Pausenabzug. Die Arbeitnehmerin habe nicht ausreichend vorgetragen, dass sie die Pause nicht habe nehmen können. Die vorgesehene Korrektur habe sie nicht genutzt. Die Arbeitnehmerin habe auch nicht ausreichend dargelegt, dass sie auf Veranlassung der Arbeitgeberin in den Pausen gearbeitet habe. Allein die Anwesenheit am Arbeitsplatz ließe nicht vermuten, dass die Überstunden notwendig gewesen seien. Die Arbeitgeberin habe Überstunden weder gebilligt noch geduldet, weil sie nichts davon gewusst habe. Die Tarifregelung zur Arbeitszeitdokumentation führe nicht zur Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf die Arbeitgeberin, weil sie ausschließlich arbeitszeitrechtliche und keine vergütungsrechtliche Bedeutung habe. Die Pause habe durch das Zeiterfassungssystem automatisch abgezogen werden können.

3. Praxishinweis

Das LAG ließ die Berufung zum BAG (Az. 5 AZR 51/24) zu. Es verweist zutreffend auf die vom BAG aufgestellten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast bei der Vergütung von Überstunden - diese trägt der Arbeitnehmer. Das erschwert Beschäftigten deutlich, darzulegen und nachzuweisen, dass Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst waren. Beim BAG ist das Verfahren noch nicht terminiert, mit einer Entscheidung ist frühestens im IV. Quartal 2024 zu rechnen.

Bitte beachten Sie, dass diese Darstellung die bisherige und die aktuelle Rechtslage nur auszugsweise und verkürzt wiedergibt. Sie kann daher eine individuelle, auf den Einzelfall bezogene Rechtsberatung nicht ersetzen.

Für eine individuelle Rechtsberatung stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Fragen Sie uns an!

Zur Übersicht