Arbeitsrecht

14. Newsletter - Mai 2022

In unserer quartalsmäßigen Übersicht über aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte haben wir heute für Sie höchstrichterliche Entscheidungen zusammengefasst. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre mit den Urteilen des BAG zur Urlaubsberechnung bei Kurzarbeit, zur Frage der Zahlung des Mindestlohns während eines Praktikums sowie zur Konkretisierung des Gebots fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Zu guter Letzt haben wir noch die brandaktuelle Entscheidung des 5. Senats dazu, dass trotz der Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 - C-55/18 (Stichwort: „Stechuhr für alle“) - eine Umverteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess nicht stattfindet, für Sie kommentiert.

Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen. So sind Arbeitstage, die aufgrund der kurzarbeitsbedingten Neuverteilung der Arbeitszeit ausfallen, bei einer unterjährigen Neuberechnung des Jahresurlaubs nicht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21).

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Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist, haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (BAG, Urteil vom 19.01.2022 – 5 AZR 217/21).

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Ein Aufhebungsvertrag kann unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande kommen. Ob das der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung gem. § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann (BAG, Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).

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Nach der topaktuellen Entscheidung des 5. Senats hat der Arbeitnehmer zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Die Richter des 5. Senats stellten ausdrücklich klar, dass diese vom BAG entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert werden (BAG, Urteil vom 04.05.2022 - 5 AZR 359/21).

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Das BAG erläutert in dieser Entscheidung seine Berechnung wie folgt: Nach § 3 Abs. 1 BUrlG belaufe sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, sei die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht: 312 Werktage). Dies gelte entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.

Der 9. Senat des BAG verwies auf die Rechtsprechung des EuGH, nach der während Kurzarbeit Null der europäische Mindesturlaubsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nicht entsteht. Der vorliegende Fall sei insoweit übertragbar. Das deutsche Recht enthalte keine günstigere Regelung: Es existiere weder eine spezielle Regelung für Kurzarbeit noch ergebe sich etwas anderes aus den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes. Insbesondere sei Kurzarbeit Null nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit zu vergleichen. Auch der Umstand, dass der Anlass für Kurzarbeit vorliegend die Coronapandemie war, ändere nach Überzeugung des Gerichts nichts daran.

Danach sind aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen.

In einer weiteren Sache hat der 9. Senat erkannt, dass diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn die Kurzarbeit wirksam aufgrund einer Betriebsvereinbarung eingeführt worden ist (Urteil vom 30.11.2021 - 9 AZR 234/21; Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.05. 2021 - 9 Sa 1/21).


Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG erfasst nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dem stand nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, da die Universität staatlich anerkannt war. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt.


Im konkreten Fall wehrte sich eine Arbeitnehmerin, die als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigt war, gegen einen Aufhebungsvertrag. Diesen hatte sie nach einem Gespräch mit dem Geschäftsführer und einem anwesenden Anwalt für Arbeitsrecht unterzeichnet. Dazu wurde sie in das Büro des Geschäftsführers gebeten, wo ihr der vorbereitete Vertrag vorgelegt wurde. Ihr wurde vorgeworfen, dass sie unberechtigt die Einkaufspreise in der EDV des Arbeitgebers reduziert habe, um einen größeren Gewinn vorzutäuschen. Nach ungefähr zehn Minuten, in denen sie schweigend am Tisch saß, unterschrieb sie den Aufhebungsvertrag, der das einvernehmliche Ende des Arbeitsverhältnisses zum Ende November 2019 zum Inhalt hatte.

Die Arbeitnehmerin hatte den Aufhebungsvertrag im Nachhinein angefochten. Sie machte geltend, dass ihr mit der außerordentlichen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht worden sei, für den Fall, dass sie den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnet. Sie habe um längere Bedenkzeit gebeten, was ihr ebenso verwehrt wurde wie sich Rechtsrat zu holen. Damit habe der Arbeitgeber aus ihrer Sicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstoßen.

Das BAG hat die Entscheidung der Vorinstanz, die zugunsten des Arbeitgebers ausfiel, bestätigt. Es wies zunächst darauf hin, dass der Aufhebungsvertrag nicht aufgrund einer widerrechtlichen Drohung zustande gekommen sei. Auch wenn man den Gesprächsverlauf, so wie ihn die Arbeitnehmerin geschildert habe, unterstelle, sei darin keine unberechtigte Drohung zu erkennen. Vielmehr sei der Arbeitgeber in so einem Fall berechtigt, die Kündigung auszusprechen sowie Strafanzeige zu stellen.

Die Erfurter Richter hoben insbesondere hervor, dass die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin nicht dadurch verletzt sei, dass der Arbeitgeber ihr den Aufhebungsvertrag gem. § 147 Abs. 1 S. 1 BGB zur sofortigen Annahme vorgelegt habe, sodass sie sich direkt habe entscheiden müssen. Sie präzisierten, dass das Gebot des fairen Verhandelns erst dann verletzt werde, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft, die dem Vertragspartner eine freie und überlegte Entscheidung über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert.

Anmerkung

Arbeitsverhältnisse enden oftmals nicht mit einer Kündigung, sondern mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Für Arbeitgeber hat das Vorteile, da weder Kündigungsfristen einzuhalten sind noch Kündigungsgründe oder die Anhörung des Betriebsrats benötigt werden. Doch rechtliche Voraussetzungen müssen Arbeitgeber auch beim Thema Aufhebungsvertrag beachten. Dabei spielt ersichtlich das Gebot des fairen Verhandelns eine Rolle. Wenngleich auch die Maßstäbe nach der oben skizzierten Rechtsprechung weit sind, kann ein Aufhebungsvertrag unwirksam sein, wenn Arbeitnehmer beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags unter Druck gesetzt werden. Deshalb sollten in der konkreten Verhandlungssituation mit Augenmaß die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls betrachtet und der Abschluss eines Aufhebungsvertrags gut vorbereitet werden.


Hintergrund ist die viel beachtete Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 – C-55/18 (Stichwort: „Stechuhr für alle“), nach der die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen. Im nationalen Recht gilt bislang nach § 16 Abs. 2 ArbZG, dass lediglich die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen ist.

Das vorinstanzliche ArbG Emden hatte in seinen Urteilen angenommen, dass diese Entscheidung des EuGH unmittelbar Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast bei Überstundenprozessen habe, da den Arbeitgeber eine Verpflichtung zur umfassenden Erfassung der Arbeitszeiten aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta träfe. Komme der Arbeitgeber der Pflicht zur Einrichtung eines „objektiven“, „verlässlichen“ und „zugänglichen“ Systems der Arbeitszeiterfassung nicht nach, reiche der Vortrag des Arbeitgebers nicht, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen. Mangels eines Arbeitszeiterfassungssystems lägen dann keine objektiven und verlässlichen Daten vor, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Arbeitnehmers nachvollziehen lassen würden.

Bereits das Berufungsgericht (LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20) hatte die Entscheidung des ArbG Emden aufgehoben.

Das BAG hat nun ebenfalls seine ständige Rechtsprechung bekräftigt, nach der der Arbeitnehmer für die Anordnung, Billigung oder Duldung von Überstunden darlegungs- und beweispflichtig ist und eine Änderung dieser Maßstäbe auch durch die Entscheidung des EuGH nicht erfolgt sei. Die Grundsätze zur Darlegungslast würden durch das Urteil des EuGH nicht verändert. Die Vorgaben des EuGH dienten dem Gesundheitsschutz und fänden entsprechend grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit habe deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen Recht und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Beweislast in Überstundenprozessen.

Anmerkung

Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung des 5. Senats zu begrüßen: Hätte das BAG anders entschieden und sich den Ausführungen der I. Instanz angeschlossen, wäre eine Prozesswelle auf Überstundenabgeltung zu erwarten gewesen; diese Gefahr ist vorerst abgewendet.

Das Thema Arbeitszeiterfassung ist allerdings nach wie vor virulent, insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die Regierung im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat, die „Stechuhr für alle“ Entscheidung des EuGH zeitnah umzusetzen. Es bleibt abzuwarten, wann und wie dies geschehen wird. Wir werden Sie auf jeden Fall über den weiteren Verlauf informieren.

 

 

Bitte beachten Sie, dass diese Darstellung die bisherige und die aktuelle Rechtslage nur auszugsweise und verkürzt wiedergibt. Sie kann daher eine individuelle, auf den Einzelfall bezogene Rechtsberatung nicht ersetzen.

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